Neue Mittel gegen Migräne

Der Kopf pocht und hämmert, grelles Licht und lautere Geräusche verschlimmern die Schmerzen zusätzlich – Migräne kann die Betroffenen komplett außer Gefecht setzen. Manche haben nur einen oder zwei Anfälle pro Jahr, andere ereilen die Attacken mehrmals im Monat – und das oft über mehrere Tage. Lesen Sie hier, was die neuen Leitlinien empfehlen.

Laut dem Robert-Koch-Institut leiden in Deutschland zwischen 15,6 Prozent und 24 Prozent der Frauen sowie vier bis elf Prozent der Männer unter Migräne. Das große Problem: „Die Migräne wird oft falsch diagnostiziert und unzureichend behandelt“, kritisiert Privatdozent Tim Jürgens, Präsident der Deutschen Migräne und Kopfschmerzgesellschaft. Gemeinsam mit weiteren Kollegen hat er eine neue Leitlinie zur Behandlung von Migräne vorgestellt, an der sich Ärzte und Schmerztherapeuten orientieren können. Die positive Nachricht: Es gibt neue Medikamente und Therapien, die vielen Kopfschmerz-Geplagten besser helfen können als bislang.

NEUE MEDIKAMENTE AUCH FÜR SCHWERE FÄLLE

Bei Migräneattacken greifen viele Patienten zu Tabletten – darunter Schmerzmittel wie Aspirin oder Paracetamol und vor allem sogenannte Triptane (z. B. Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan oder Zomitriptan). Doch diese Mittel helfen nicht jedem, und Patienten mit einem erhöhten Schlaganfall oder Herzinfarktrisiko sollten sie nicht einnehmen – unter anderem deshalb nicht, weil Triptane die Blutgefäße überall im Körper verengen. Für diese Patienten gibt es jetzt Alternativen: die Medikamentengruppe der Ditane (Handelsname Lasmiditan) und der Gepante. Beide greifen bei der Migräneentstehung ein. Sie sind seit Herbst 2022 in der EU zugelassen, stehen in der Apotheke aber noch nicht zur Verfügung. „Wir erwarten, dass wir sie in der ersten Jahreshälfte 2023 verordnen können“, betont Jürgens. Bei einem Migräneanfall sind die Blutgefäße im Gehirn erweitert.

Ditane verengen die Blutgefäße. Ihr entscheidender Vorteil: Sie wirken – anders als Triptane – nur im Gehirn. Damit verursachen sie kein zusätzliches Risiko für Patientenmit Herzerkrankungen. Sie können allerdings Nebenwirkungen im zentralen Nervensystem hervorrufen, etwa Müdigkeit und Schwindel.

In einer Studie im Fahrsimulator beeinträchtigte der Wirkstoff die Verkehrstüchtigkeit der Versuchsteilnehmer. Daher darf man sich nach der Einnahme des Medikaments für mindestens acht Stunden nicht ans Steuer eines Autos setzen und auch keineMaschinen bedienen. „Prinzipiell vertragen viele Menschen Ditane aber gut“, unterstreicht Jürgens. Das zweite neue Medikament Rimegepant aus der Wirkstoffgruppe der Gepante blockiert einen Botenstoff im Gehirn, den Forscher erst vor wenigen Jahren identifiziert haben. Dieser Botenstoff namens Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) ist inzwischen zu einem Schlüssel in der modernen Migränebehandlung geworden. Der Vorteil von Rimegepant ist, dass es nicht gespritzt werden muss. Man schluckt es als Schmelztablette, die auf der Zunge zergeht. Rimegepant ist das erste Arzneimittel, das Migränepatienten sowohl für die Behandlung akuter Migräneattacken als auch zur Prophylaxe neuer Migräneanfälle anwenden können. Es eignet sich für Patienten, bei denen die „klassischen“ Mittel versagen – also entweder nicht wirken, unverträglich oder wegen Herzleiden zu gefährlich sind.

MIGRÄNEANFÄLLEN WIRKSAM VORBEUGEN

Wen die Migräne immer wieder erwischt, der benötigt eine auf ihn zugeschnittene medikamentöse Prophylaxe. Allein schon deshalb, weil er sonst während der akuten Migräneattacken zu viele Medikamente schlucken muss. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Kopfschmerzen ohne Prophylaxe chronisch werden.

Bisher war es gängige Praxis, die medikamentöse Prophylaxe nach nur sechs bis neun Monaten zu überprüfen und maximal zwölf Monate durchzuführen. Davon rücken die Experten jetzt ab. „Für Patienten, die schon länger unter Migräne leiden und mit Begleiterkrankungen wie Depression oder Angststörung zu kämpfen haben, können zwölf, 24 oder sogar mehr Monate Prophylaxe nötig sein. Denn bei solchen Patienten kann es länger dauern, bis sich ein Behandlungseffekt zeigt“, erklärt Privatdozentin Gudrun Goßrau vom Uniklinikum Dresden.

Zur Vorbeugung von Migränewerden werden mitunter auch Betablocker oder das Antidepressivum Amitriptylin eingesetzt. Darüber hinaus stehen drei sogenannte monoklonale Antikörper zur Verfügung, die meist einmal monatlich unter die Haut gespritzt werden. Seit dem letzten Jahr ist mit Eptinezumab ein vierter Antikörper verfügbar. Er wird alle zwölf Wochen in die Vene verabreicht. Die Antikörper wirken laut Migräne-Experte Jürgenss schnell – insbesondere bei vielen Patienten, denen die anderen Medikamente nicht geholfen haben. Die Antikörper hätten zudem nur geringe Nebenwirkungen.

NICHT ALLEIN AUF TABLETTEN VERLASSEN

Studien haben gezeigt, dass man sich nicht alleine auf Tabletten verlassen sollte. „Es ist effektiver, die Behandlung durch nicht medikamentöse Therapien zu ergänzen“, sagt Privatdozentin Dr. Stefanie Förderreuther vom LMU Klinikum. Neben Entspannungstechniken wieder Muskelrelaxation nach Jacobsen und Verhaltenstherapien ist Sport sehr wichtig. „Studien haben gezeigt, dass regelmäßiger Ausdauersport die Frequenz der Migräneattacken positiv beeinflusst“, weiß die Expertin.

Neben diesen bewährten Maßnahmen steht jetzt zusätzlich die nicht invasive Neurostimulation des Trigeminusnervs zur Verfügung. Dabei kleben sich die Patienten eine Elektrode an die Stirn, die einen Gesichtsnerv stimuliert, der mit dem Trigeminusnerv verbunden ist. „Nach zwei Stunden sind 25,5 Prozent der Studienteilnehmer schmerzfrei geworden“, berichtet Förderreuther. Dieses Stimulationsverfahren eignet sich auch als vorbeugende Therapie. „Da müssen sich die Patienten täglich über 20 Minuten stimulieren“, so Förderreuther.

Die Trigeminusstimulation hilft vor allem Patienten, die keine Medikamente nehmen wollen oder dürfen, allerdings tragen Krankenkassen bisher die Kosten nicht. Wenn bei chronischer Migräne bereits alle anderen Therapien versagten, hat jedoch auch die Neurostimulation kaum Erfolgsaussichten. Dann sollte man einen Neurologen in die Behandlung einbinden.

Die häufigsten Kopfschmerzarten

Bei den Kopfschmerzarten unterscheidetdet man im Wesentlichen zwei Kategorien: Die erste Gruppe umfasst die sogenannten primären Kopfschmerzen, bei denen keine Ursache erkennbar ist. Seltener sind sekundäre Kopfschmerzen, die als Folge einer Erkrankung auftreten. Die häufigsten primären Kopfschmerzen sind neben der Migräne Spannungskopfschmerzen und Cluster- Kopfschmerzen.

Spannungskopfschmerz

Der Spannungskopfschmerz tritt von allen bekannten Kopfschmerzarten am häufigsten auf. Symptome: Die Schmerzen betreffen meist beide Kopfhälften und strahlen vom Hinterkopf zur Stirn oder in die Schulter aus. Sie können von einer halben Stunde bis zu einer Woche andauern. Oft werden sie als dumpfer Druck wahrgenommen – so, als würde man einen zu engen Hut tragen. Körperliche Aktivität wirkt meist lindernd. Die Schmerzen sind in der Regel leicht bis mittelstark und treten nur gelegentlich auf, können aber auch chronisch werden. Als chronisch gilt der Spannungskopfschmerz, wenn er über mindestens drei Monate hinweg an mehr als 14 Tagen im Monat auftritt. Auslöser: Besonders Stresssituationen, muskuläre Verspannungen, insbesondere der Nackenmuskulatur, sowie zu viel Nikotin oder Alkohol.

Cluster-Kopfschmerz

Cluster-Kopfschmerzen sind selten. In Deutschland ist nur jeder Tausendste von ihnen betroffen, Männer erwischt es deutlich häufiger als Frauen. Typischerweise nachts werden die Betroffenen über Wochen oder Monate täglich bis zu achtmal von den Schmerzen heimgesucht, dann über Monate oder Jahre gar nicht. Aber es gibt auch chronische Fälle. Die einzelnen Attacken sind sehr heftig, bohrend oder stechend und dauern jeweils 15 Minuten bis zu drei Stunden an. Sie treten immer einseitig im Bereich der Augenhöhle und der Schläfenregion auf. Typische Begleiterscheinungen sind tränende und gerötete Augen, Rötungen des Gesichts, eine laufende oder verstopfte Nase und/oder ein hängendes Augenlid. Manche Betroffenen laufen während einer Attacke ununterbrochen hin und her oder schaukeln mit dem Oberkörper vor und zurück. Auslöser: Zu den häufigsten Auslösern der Attacken gehören der Genuss von Alkohol, flackerndes oder grelles Licht, bestimmte Lebensmittelzusatzstoffe.

Erschienen in der TZ, am 16. Januar 2022

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